vertreiben & verdrängen

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Freitag thematisieren wir die Vertreibung und Verdrängung von Bettler*innen und anderen marginalisierten Menschen aus dem öffentlichen Raum. Die Öffentlichkeit verhält sich eigentümlich zurückhaltend, wenn Menschen alleine wegen ihrem Erscheinungsbild oder der vermeintlichen Zugehörigkeit zu irgendeiner imaginierten Gruppe angehalten, kontrolliert, beschimpft, schikaniert, beleidigt, entrechtet, verdrängt und vertrieben werden.

Anders gesagt: gerade über die Beseitigung von sichtbaren Hinweisen auf die widersprüchlichen, ambivalenten – um nicht zu sagen ungerechten – Grundbedingungen einer kapitalistischen Ökonomie, gerade über die gewaltvolle Beseitigung von unliebsamen, störenden oder widerständigen Menschen, Momenten oder Haufen aus dem Verkehr wird diese regulierte Öffentlichkeit im Namen einer vorgeblich allgemeinen Zugänglichkeit, Sicherheit, Sauberkeit und Wohlgefühltheit hergestellt. Regierungen und Herrschaften inszenieren Sicherheit, propagieren eindimensionale Sauberkeit, schaffen Ordnung, wollen geliebt sein. Während die Gesetze des Marktes, die absurde Anhäufung von Eigentum in den Händen von wenigen und die damit einher gehenden lokalen wie globalen Verwerfungen als politferne Naturgesetze beschrieben werden, denen „die Politik“ hilflos ausgeliefert ist füllt die Ausgrenzungspolitik und Vertreibungspolitik gleich in doppelter Hinsicht dieses Polit-Vakuum: Einmal können sich Regierungen und regierungsnahe Körperschaften als handlungsfähige und sogar als kreative Akteure im politischen Feld inszenieren – gleichzeitig bedient das praktische Einprügeln auf Schwache (im Sinne von: Menschen, die umfassend nicht an/gehört werden und denen gesellschaftlich keine Stimme gegeben  zugesprochen wird) das Bedürfnis vieler braver Leute nach einfachen personifizieten Gründen (Sündenböcke) für eigene alltägliche Erfahrungen von Enttäuschung, von Frustration, von Angst, von Hass oder auch Ekel – alles emotionale Zustände, die im bunten Geflecht (semi)autoritärer Strukturen in Arbeit, zu Hause oder dazwischen im Verkehr nicht unbedingt kritisch reflektiert oder bearbeitet werden.

Wir sind die Braven, wir wollen alles richtig machen, wir wollen geliebt und gemocht werden.  Wir machen alles um geliebt und gemocht zu werden. Wir sind die Guten. Wer das in Frage stellt.

Neues Volksblatt // 14. Juni 2018

Seit mindestens 300 Jahren erlassen Kaiser, Regierungen, Despoten und Herrscher im Namen der „guten Policey“, im Namen „der Öffentlichkeit“, im Namen von Ordnung, Sicherheit und Saubereit Gesetzestexte, mit denen andere, unangepaßte, nicht-seßhafte, autonome oder widerständige Menschen zuerst als „unproduktiv“, „gefährlich“, „bedenklich“, „zweifelhaft“ oder „kriminell“ gemacht wurden, um dann aus dem Verkehr gezogen, in Anstalten gesteckt oder vom Land und aus dem Lande vertrieben zu werden.

Seit etwa einem Jahrzehnt dominiert eine aufgebrachte Stimmung gegen sozial benachteiligte Menschen, die im öffentlichen Raum nach Geld fragen die ver/öffentlichte Debatte. Bettelverbote werden lanciert, zusätzliche Ordnungsbefugte auf Patrouille geschickt, Städte werden teil-privatisiert, in Zonen unterteilt und mittels Hausordnungen oder zur Hilfe nahme der Straßenverkehrsordnung reguliert. Die Interessen der unternehmerischen Stadt sind klar definiert. Bettler*innen und andere störende Subjekt würden das Bild einer prosperierenden, funktionierenden Stadt nur beschmutzen. Wie bereits vor 200 oder 300 Jahren beherrscht die Unterscheidung in wirklich Bedürftige und vorgetäuschte Bedürftigkeit, in inländische und ausländische Bettler_innen, in schwache und starke Bettler_innen, in moralisch gute und moralisch verwerfliche Bettler_innen, in dankbare und undankbare Bettler_innen die Rechtfertigungsdebatte.

Neues Volksblatt // 14. Juni 2018

In Wien, in Linz, in Salzburg, in Graz und Innsbruck sind in den letzten Jahren unterschiedlichste Strategien, Gesetze und Maßnahmen gegen Bettelei erdacht und umgesetzt worden.  So manche Gesetzestexte haben dabei gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen und mußten wieder aufgehoben und umgeändert werden, die Praxis der Ordnunghüter_innen ist aber längst so flexibel geworden, daß auf  solche Kleinigkeiten wie Menschenrechte kaum noch Rücksicht genommen wird. Willkürliche Vertreibungen, Anhaltungen und Schikanierungen  von Menschen aufgrund von Hautfarbe und reiner Äußerlichkeiten passieren – nicht selten an Verkehrsknotenpunkten – tagtäglich. Eine Gewöhnung an solche Methoden geht einher mit einer Gewöhnung an massive Polizeipräsenz, an Massenüberwachung oder an einen Daueralarmzustand.

Allerdings gibt es von Seiten der betroffenen Personen und von Leuten, die damit nicht einverstanden zeigen konstanten Widerstand gegen diese Ordnungsvorstellungen.  Sie verschieben und unterwandern die gleichermaßen engen wie fluiden Ordungsgrenzen.

In der Diskussion wollen wir uns mit der Vertreibungspolitik, den lokalen Gegebenheiten in Linz, aber auch mit widerständigen Strategien und solidarischen Konzepten im Kontext von öffentlichen demokratischen Räumen auseinander setzen. Wir diskutieren mit der Filmemacherin und Aktivistin Ulli Gladik, mit dem Aktivisten und Schriftsteller Kurto Wendt und mit Michaela Haunold, Mitglied der Bettellobby und von der Caritas Linz über lokale Eigenheiten, die politische Arbeit vor Ort und über Strategien und mögliche Formen des Widerstands gegen mittelständische Verrohungstendenzen und autoritäre undemokratische Politik.